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Für bessere Arbeitsbedingungen fest angestellter Tänzer*innen setzt sich das Network Dance ein, das auf Initiative der Ensemblesprecher*innen deutscher Kompanien gegründet wurde
Faire Verträge. Mitgestaltung. Gesundheitsschutz: So lauten die Kernforderungen des Network Dance, das sich im Juni 2017 gegründet hat, um über die Arbeitsbedingungen der vertraglich fest gebundenen Tänzerinnen in deutschen Kompanien zu diskutieren. Eingeladen hatte der Dachverband Tanz Deutschland. Ausgegangen war die Initiative für das Treffen allerdings von Ensemblesprecherinnen deutscher Ballett- und Tanztheater-Kompanien. Damit meldet sich eine Gruppe zu Wort, die bislang selten gehört wurde, wenn es um ihre Kunstform geht. Woran liegt ihnen und dem Network Dance, was steht zur Verhandlung? Diesen Fragen ist Elena Philipp nachgegangen, in Gesprächen mit Elinor Jagodnik, Ensemblesprecherin des Staatsballett Berlin, Michael Freundt vom Dachverband Tanz Deutschland und Christiane Theobald, der Stellvertretenden Intendantin des Staatsballett Berlin.
Konflikte ohne Streit zu lösen ist wünschenswert. Um die Dringlichkeit eines Anliegens zu vermitteln, braucht es aber mitunter einen Aufschlag – wie den Streik, mit dem das Staatsballett-Ensemble 2015 für die Verbesserung seiner Arbeitsbedingungen kämpfte. Acht Vorstellungen fielen aus, die Medien berichteten. Gekostet hat der Streik die Opernstiftung am Ende etwa 260.000 Euro. Gewonnen haben den Arbeitskampf die Tänzer· innen, unterstützt von der Gewerkschaft ver.di. Etliche ihrer Anliegen fanden Berücksichtigung im Haustarifvertrag, den sie mit der Intendanz abgeschlossen haben. Reisetage gelten nun als Arbeitszeit und nicht mehr als Freizeit; auch für Solist·innen gibt es feste Probenzeiten; nach zehn Arbeitstagen ist eine Ruhephase verpflichtend. Damit hat sich die Arbeitssituation der 80 Tänzer·innen wesentlich verbessert, findet Elinor Jagodnik, eine der Ensemblesprecher·innen des Staatsballett Berlin.
In anderen Kompanien ist die Situation längst nicht so gut. Davon hat Jagodnik erst im Juni wieder erfahren, als sich erstmals Ensemblevertreter·innen der festen Ballett-, Tanz- und Tanztheater-Kompanien Deutschlands trafen, um sich über ihre Arbeitsbedingungen auszutauschen. Unangekündigt verlängerte Proben oder drei Wochen Durcharbeiten ohne Ruhetag sind nicht unüblich. Vertragliche Reglungen führen zu Ungerechtigkeiten: Wer einen Normalvertrag Solo, kurz "NV Solo", abgeschlossen hat, genießt weniger Schutz als ein·e Kolleg·in mit einem "NV Gruppe". Gerade Halbsolist·innen haben teils Gruppen- wie Solopflichten – ohne Zeitausgleich, oft ohne zusätzliche Honorare für Soloauftritte. An kleineren Häusern gibt es zudem kaum physiotherapeutische Betreuung – für körperliche Hochleistungen eigentlich ein Muss. Prekär sind die Verträge fest angestellter Tänzer·innen, auch in Berlin: Nach einem Jahr Laufzeit droht die Nichtverlängerung; langfristig planen lässt sich mit einem "NV Bühne" nicht. Selbst nach mehreren Berufsjahren gibt es keine Aussicht auf Entfristung.
Warum die prekären, meist gering entlohnten, gelegentlich skandalösen Arbeitsbedingungen von Tänzer·innen kein Dauerthema sind? Weil die Ensembles bislang nicht schlagkräftig organisiert waren. Die für sie zuständigen Gewerkschaften, die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) und die Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer e.V. (VdO), arbeiten eng – manche sagen: zu eng – mit der Arbeitgebervertretung, dem Deutschen Bühnenverein, zusammen; auch deshalb sahen die Staatsballett-Tänzer·innen in ver.di einen stärkeren Verhandlungspartner. Außerdem regiert in den hierarchisch strukturierten Ensembles oft noch die Angst. Die Ein-Jahres-Verträge sind auch ein Herrschaftsinstrument der Intendanten. Engagierte Tänzer·innen fürchten die Nichtverlängerung: die Ballettsprecher·innen seien "besonders gefährdet", heißt es im Ergebnisprotokoll der ersten Tagung des Network Dance. Das weiß auch Michael Freundt, Geschäftsführer des Dachverbandes Tanz Deutschland (DTD), der das Network Dance organisatorisch und, in geringem Maße, auch finanziell unterstützt. "Die meisten Gruppen im Tanz sind gut vernetzt – bis auf die Tänzer·innen, die fest an einer Bühne angestellt sind", so Freundt. Das soll sich ändern.
Lange hieß es: Hauptsache Tanzen. Unter dieser Prämisse nahmen fest angestellte Tänzer·innen manche Ungerechtigkeiten hin. Ihre Bühnenkarrieren sind kurz genug. Doch in den Kompanien scheint sich etwas zu ändern: "Das hat man gespürt", sagt Elinor Jagodnik. Gerade junge Tänzer·innen hätten eine Meinung, die sie auch verträten. Mehr Tänzer·innen sind Mitglied einer Gewerkschaft. Für Michael Freundt versinnbildlicht das Network Dance daher die Zukunft des Tanzes: "Wir brauchen eine mündige Tanzkunst und kreative Künstler·innen." Durch Beispiele guter Praxis möchte der DTD diese Entwicklung fördern.
Auch einige Vertreter·innen der Arbeitgeberseite unterstützen die Initiative bereits: Christiane Theobald, Stellvertretende Intendantin des Staatsballett Berlin und Mitglied im Präsidium der Bundesdeutschen Ballett- und Tanztheaterdirektoren Konferenz (BBTK), nennt die Gründung des Network Dance ein "historisches Ereignis". "Gerade in unserer Branche ist es wichtig, sich zu artikulieren", sagt sie im Gespräch. "Der Blick auf den Beruf hat sich verändert: die Tänzer·innen sind nicht mehr sprachlos, sondern haben Selbstbewusstsein." Das stört natürlich erst einmal hergebrachte Hierarchien und verlangt nach Einigung: Während die Ensemblesprecher·in Elinor Jagodnik die prekären Verträge problematisch findet, sieht ihre Vorgesetzte Christiane Theobald in der kurzen Laufzeit eine Möglichkeit, die Tänzer·innen zu dauerhaften Höchstleistungen zu motivieren. Aber bei denjenigen, die nach einer extrem harten Ausbildung die Aufnahme in das Staatsballett Berlin geschafft haben, darf man sicher von ausreichend Motivation für den Knochenjob ausgehen. Bestünde im Falle von Festanstellungen wirklich die Gefahr, dass die Ballettkunst zur Beamtentätigkeit würde? Festanstellungen sind in Ländern wie Frankreich, Schweden, Norwegen, Dänemark oder Italien üblich. Beim Pariser Opernballett würden sogar Einsteiger·innen fest verpflichtet, berichtet Elinor Jagodnik; die Kompanie ist eine der besten weltweit.
Etliches zu tun gibt es also für die Initiative Network Dance. Im Februar 2018 treffen sich die Ensemblesprecher·innen erneut. Danach sollten Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einen konstruktiven Dialog über zeitgemäße Arbeitsbedingungen treten, für Tänzer·innen, die nicht länger Instrumente der Choreograf·innen sind, sondern eigenständige Künstler·innen. Christiane Theobald hat eine Einladung der Sprecher·innen zur BBTK schon in Aussicht gestellt.
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