
bericht
Synergien statt Diffusion
Somatische Methoden: Spürende Forschung im Dschungel der Methoden?
Somatische Methoden gehen auf den Begriff Somatics zurück, Ende der 60er Jahre von Thomas Hanna als Sammelbezeichnung für sensation based movement practices geprägt. Von Impulsen der Jugendbewegung und Reformpädagogik sowie des Ausdruckstanzes und Modern Dance ausgehend, hat für diese Körperpraktiken die subjektive Erfahrung, das leibliche Spüren und Fühlen und die Bewusstmachung des Unwillkürlichen zentrale Bedeutung. Dabei ging es gerade den Pionier*innen nicht nur um individuelle Selbstsorge und Heilung, sondern auch um die Änderung kollektiver Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster sowie einen Wandel der persönlichen Beziehungen und gesellschaftlichen Verhältnisse.
Zugleich sind diese Körperpraktiken auch wissenschaftlich von Interesse. Nach dem Body Turn in den Sozial-, Kultur- und Kognitionswissenschaften wurde zuerst nur die soziokulturelle Bedeutung, Formung und Regulierung der Körper thematisiert, vernachlässigt wurden jedoch die spürende ‚Innenperspektive‘ und ihre Artikulation sowie der Eigensinn des Körpers. Mit dem Interesse an Embodiment steht heute jedoch zunehmend der erkennende, fühlende, verstehende und kommunizierende Körper-Leib im Zentrum des Forschungsinteresses und wird als konstitutiv für unseren Selbst- und Weltbezug anerkannt: Erfahrung und Erkenntnis werden nun als immer schon embodied, embedded, situated, enacted und mit Bewegung verknüpft aufgefasst.
Die Somatische Akademie Berlin (SAB) schafft mit ihrem Konzept einer synergetischen Methodenvielfalt und einer interdisziplinären Verschränkung mit gesellschaftlichen Praxisfeldern einen Möglichkeitsraum, der Differenz ohne Konkurrenz zulässt und einen gemeinsamen Fokus somatischer Forschung ermöglicht. Das ist eine schöne Ausnahme angesichts der sonst häufigen Befürchtung, dass statt Synergie eine Diffusion der Konturen der somatischen Methoden drohe.
Dies wurde auch im Somatischen Salon über "Methodendschungel, Methodenvielfalt, Methodensynergie" Ende September 2016 deutlich. Beteiligt waren Claudia Feest (Atem-, Stimm- und Bewegungspädagogin, Atem- und Körpertherapeutin), Elisabeth Molle (Tänzerin, Tanzpädagogin, Alexandertechnik-Lehrerin), Irene Sieben (Journalistin, Tanzpädagogin, Feldenkrais-Lehrerin), Ka Rustler (Choreografin, Performerin, Somatische Forscherin), Kai Erhardt (Atemtherapeut nach Middendorf, Continuum-Movement-Lehrer), sowie als Moderatorin Katja Münker (Künstlerische Leitung Tanz + Somatische Forschung SAB, Feldenkrais-Lehrerin, Choreografin, Tänzerin).
In einer ausführlichen Vorstellungsrunde stellten die Eingeladenen ihren jeweiligen Werdegang und die Besonderheiten der von ihnen vertretenen Methoden dar. Später im Gespräch mit einander und dem Publikum wurde die Spannung zwischen dem Bedürfnis nach fruchtbarer Kooperation, Methodenkonvergenz und Synergie einerseits, dem Interesse an der Bewahrung der Spezifik der Ansätze und Methoden andererseits deutlich. So berichtete Kai Erhardt von einer Somatischen Woche in der SAB, bei der die Effekte unterschiedlicher Methoden und ihrer synergetischen Wechselwirkungen im Zentrum standen. Dabei vermischten sich die Praktiken nicht, sondern befruchteten einander und wurden in ihrer Spezifik sogar noch klarer. Das kann auch ein Schritt hin zu einer Überwindung des ‚Elfenbeinturm-Modells‘ sein, das leider häufig noch das Feld der somatischen Arbeit prägt und dessen ‚Schätze‘ immer noch zu sehr in einem Sonderbereich der Gesellschaft versteckt.
Anknüpfend an die gesellschaftspolitische Perspektive der Gründer*innen-Generation und an die Aufbruchsstimmung der 70er Jahre braucht es heute eine Selbstreflexion der somatischen Praktiken bezüglich ihrer Lern- und Vermittlungsmethoden und ihres Verhältnisses zueinander. Nötig wäre dabei mehr Kooperation als Konkurrenz: Es gibt wohl keine ausgezeichnete Methode, ‚bessere Menschen‘ hervorzubringen. Auch wenn die somatischen Methoden nicht unmittelbar einen positiven gesellschaftlichen Wandel bewirken können, haben sie doch, insbesondere wenn sie ihre Rückanbindung an den spürenden Körper-Leib auch in Bereichen wie Psychologie, Medizin, Pädagogik, Architektur und vieler anderer einbringen, ein großes Potential für die Veränderung von Wahrnehmen, Verstehen, Lernen und Intersubjektivität.
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