Ausgabe Mai-Juni 2024

Exiled Again and Again!

"Bouncing Narratives" von Roza Moshtaghi, Foto: David Levene

Vom 23. Mai bis zum 2. Juni 2024 findet zum zweiten Mal das tanzpol Festival statt, das Sichtbarkeit für die Tanzkunst aus Ländern schafft, in denen der Bühnentanz nicht frei und selbstverständlich ist – das Programm konzentriert sich auf die Arbeit von Choreograf*innen aus dem Iran sowie der iranischen Diaspora. Die Festivaldramaturgin Johanna Kasperowitsch schreibt für tanzraumberlin über den Zusammenprall von gegensätzlichen Realitäten zwischen deutschen Institutionen und teilnehmenden Künstler*innen und fragt sich, wie eine zukünftige Zusammenarbeit aussehen kann.

TEXT: Johanna Kasperowitsch
Kuratorin, Dramaturgin tanzpol Festival 2024

 

Als tanzpol 2020 ins Leben gerufen wurde – mit dem Ziel, Kunstschaffenden aus dem Iran in Berlin eine Plattform zu geben – war uns, den Gründer*innen, noch nicht bewusst, was dies auf persönlicher und professioneller Ebene bedeuten würde. Immer schon war die Tanzszene im Iran in einer bedrohten Situation: Prekäre Verhältnisse, manifestiert durch fehlende Räume, Netzwerke, Gelder und Bildungsmöglichkeiten, gepaart mit scheinbar willkürlich variierenden offiziellen Regeln und Verboten von staatlicher Seite gehören seit je her zum Lebens- und Arbeitsalltag von Choreograf*innen und Performer*innen. Im Zuge der Pandemie und zeitgleicher unerwarteter Inhaftierungen zentraler Akteur*innen durch staatliche Kräfte sowie durch die massiven Proteste, ausgelöst durch Jina Mahsa Aminis Tod in Polizeigewahrsam, verschlechterten sich die Bedingungen weiter. Dem wollten wir etwas entgegensetzen, zumindest in Berlin und mithilfe enger Kontakte in die Tanz- und Performanceszene im Iran. Soweit der Plan.


Seitdem hat tanzpol ein Festival in den Uferstudios realisiert, ein zweites findet im Mai 2024 in Kooperation mit den Sophiensælen und den Uferstudios statt. Wir arbeiten an der Umsetzung von Vernetzungs-, Residenz- und Mentoring-Programmen. Es ist vor allem der Clash von gegensätzlichen Bedürfnissen und Realitäten, der die kuratorische Praxis stark beeinflusst und mitgestaltet, zwischen deutschen Institutionen und Kooperationspartner*innen einerseits und Künstler*innen andererseits. Wir müssen als Projektverantwortliche damit umgehen, dass eine Aufenthaltserlaubnis an Nachweise zum Verdienst gekoppelt ist. Visa-Anträge aus Ländern wie dem Iran brauchen viel zeitlichen Vorlauf und meist persönliche Kontakte in Botschaften, ohne Garantie auf Bewilligung. Honorare können nicht einfach auf ein Konto im Iran überwiesen oder per Western Union verschicken werden. Zudem stellen sich Fragen der Sicherheit, der Verantwortung und des Risikos, wenn eine Einladung nach Berlin für Personen aus dem Iran eine Festnahme am Flughafen bedeuten kann.


Künstler*innen sprechen immer wieder über die Bedeutung gegenseitiger Unterstützung, angesichts eines Systems, das kaum Sicherheiten bietet. Die komplexe, teils enorm zeitaufwendige deutsche Bürokratie leistet oft keinen Beitrag zum Abbau dieses generellen Misstrauens gegenüber staatlichen Strukturen, wenn es beispielsweise um Steuern, Einbürgerung, Künstlersozialabgaben oder das Rechtssystem geht.


Die Umsetzung eines Festivals bedeutet, mit diesen Faktoren umzugehen. Es bedeutet in der freien Szene aber auch, dass eine stabile Querfinanzierung durch andere Jobs unumgänglich wird. In Vorkasse zu gehen, eigenes Geld vor Projektbeginn zu verleihen und Arbeitgeberbestätigungen zu schreiben, ohne eine gesicherte Finanzierung in der Tasche zu haben, gehört ebenfalls dazu.


Es ist Zeit, darüber nachzudenken, wie ernst wir es mit Kollaborationen meinen, wenn es um Kunstschaffende außer-europäischer Kontexte geht und inwieweit uns die eigene bürokratische Struktur dabei im Wege steht. Wir müssen fragen, wann, wie und in welcher Form Gelder zur Verfügung gestellt werden können. Wir sollten diskutieren, wie genau Beziehungen und Arbeitsstrukturen zwischen Menschen beeinflusst werden von den Orten, an denen sie sich befinden. Praktiken wie die Bezahlung in Krypto-Währung oder das Transportieren von Bargeld durch Vertrauenspersonen über Landesgrenzen sind nicht immer einfach umzusetzen, gehören aber in Ländern wie dem Iran oder auch Belarus mittlerweile zum Alltag.


Tanzpol möchte, nicht zuletzt im Rahmen zweier Panels, über zukunftsträchtige Formen des Zusammen-seins nachdenken und hofft auf direkte, offene und schonungslose Gespräche mit Künstler*innen und Vertreter*innen von Institutionen.


Braver Spaces – Realities, Barriers and Scopes of Exile in the European Artistic Field   Panel-Diskussionen
2. Juni 2024 ○ Uferstudios / Studio 1


TANZPOL FESTIVAL 2024
23. Mai bis 2. Juni 2024 ○ Uferstudios, Sophiensæle, ITI-Germany ○ www.tanzpol-berlin.de

 

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